Gestern war die Rache der Lehrer an den Erzeugern der Brut, die sie tagtäglich quält: Elternabend. Ist ja immer wieder eine Erfahrung, diese Veranstaltung. Kleiner Hinweis: man macht sich nicht sonderlich beliebt, wenn man zu spät kommt und sei es auch nur eineinhalb Minuten. Es erwarten einen böse Blicke – sowohl von Seiten des Klassenlehrers, wie auch der pünktlichen Eltern. Das nächste Mal mache ich es wie fünf anderen Eltern und komme gar nicht. Dann steht noch ein elternloses Namensschild auf dem Elternnamenschildtisch an er Eingangstür.
Eine nicht wirklich ernst gemeinte Entschuldigung nuschelnd (was kann ich denn dafür, wenn der Parkplatz gerammelt voll ist und ich einen halben Kilometer entfernt parken muss? Sind nun mal nicht alle so Strebereltern, wie die Anwesenden, die sich auch noch den halbstündigen Vortrag VOR dem eigentlichen Elternabend gegeben haben.) schnappte ich mir das Namensschild und ging auf einen Platz ganz außen in der ersten Reihe (die ansonsten völlig verwaist war).
Das war der erste Elternabend des neuen Schuljahres und dieses Mal auch mit niegelnagelneuem Klassenlehrer. Ich kannte ihn bisher nicht, hatte ihn vorher noch nie gesehen und er mich auch nicht. Das ist übrigens auch der Grund, warum ich ein fremdes Namensschild und nicht meins nahm: er muss ja nicht gleich beim ersten Elternabend meinen Namen mit einem „Negativ-Erlebnis“ (es waren eineinhalb Minuten! Mein Gott…) verbinden. Ok, ich hätte vielleicht auf den Namen achten sollen, denn „Schöndorff-Laux“ klingt dann doch eher nach Heilpädagogin (mit theologisch-esoterischer Ausrichtung) oder Diplom-Theologin (mit Zusatzausbildung zur Heilpädagogin) oder ähnlichem, denn nach einem unrasierten und etwas zerzaustem, weil vorher hektisch parkplatzsuchenden Typen. Da Lehrer aber natürlich vollkommen unvoreingenommen sind, ging auch ich als „Herr Schöndorff-Laux“ durch.
Ich hielt mich die meiste Zeit des Abends dezent im Hintergrund (was nicht so einfach ist als Einziger in der ersten Reihe, aber ich saß ja ganz außen, nicht weit entfernt vom Elternnamenschildtisch.), damit der Name „Schöndorff-Laux“ langsam aber sicher im Bewusstsein des Klassenlehrers verblassen konnte und irgendwann den belanglosen Platz in seinem Gedächtnis einnähme, den dieser Name auch verdient. So ein Lehrer, zumal Klassenlehrer, hat ja auch eine Menge um die Ohren. In diesem Fall unterrichtet er Mathematik, Chemie und Sport, sowie gelegentlich Biologie. Plus die Aufgaben, die man als Klassenlehrer noch so hat. Also quasi die Klasse, das Team, den Clan leiten. Der pubertierenden Meute Einhalt gebieten, aber auch zur Seite stehen. Ihnen Wissen vermitteln, schulisches Wissen, aber auch lebensnahes Wissen (der Junior hat zum Beispiel gerade mit zwei anderen Jungs eine Projektarbeit zum Thema „Sexualkrankheiten“. Gehts noch näher am Leben? Das Gute bei dieser Aktion: der neue Klassenlehrer ist ein Verfechter der „Das müssen die Kids selbst herausfinden“-Theorie, sprich: die Knirpse sollen ihre Eltern nicht mit dem Kram belästigen, was mir bei dem aktuellen Themen mehr als recht ist. Ich bin ja aber gar nicht so: hab dem Junior zu Recherchezwecken die Beipackzettel der diversen Tabletten und Cremes im Medizinschrank gegeben. Soll ja keiner behaupten können, ich wäre ein schlechter Vater). Ein Klassenlehrer soll seinen Schülern Lehrer, aber auch Vertrauter sein.
Das ist schon eine Menge Arbeit für so einen Klassenlehrer, auch und gerade psychisch. Da sind Namen nicht relevant, im Gegenteil: sie stören eher, weil sie wichtigen Gedankenraum okkupieren. Raum, der für die adäquate Erziehung unserer Kinder benötigt wird. Ich weiß es nicht hundertprozentig, aber bestimmt würden mir so gut wie alle Gedankenraumwissenschaftler recht geben. Säßen in einem mittelgroßen Raum etwa hundert Gedankenraumwissenschaftler, wäre der Raum ganz gut gefühlt. Sogar in der ersten Reihe säßen mehr als nur ein Gedankenraumwissenschaftler. Würde ich die in diesem Raum anwesenden Gedankenraumwissenschaftler bezüglich meiner Theorie im Zusammenhang mit Wichtigkeit von Namen im Gegensatz zu dem den Kindern zu vermittelnden Wissen im Gedankenraum befragen, schmetterten mir die Gedankenraumwissenschaftler unisono entgegen: „Sie haben völlig recht, Herr Schöndorff-Laux!“ Und wer würde an der einhelligen Meinung von hundert Gedankenraumwissenschaftlern zweifeln wollen?
Naja, eventuell Frau Schöndorff-Laux, die dann doch noch erschien und etwas erbost war, dass ich ihr Namensschild entwendet hatte. Sie beruhigte sich aber, als ich mir das „Özgan“-Schild krallte und mich mit vorgetäuschtem Akzent für meine mangelnde Kenntnis der deutschen Sprache entschuldigte.
Der nächste Elternabend dürfte spannend werden…