Früher waren Forscher und Entdecker schon harte Hunde. Eine Tatsache, der man sich nur selten so wirklich bewusst ist. Kürzlich war ich zum Beispiel in der „Eisriesenwelt“, ein Höhlensystem mitten im Berg mit gewaltigen Eismassen, Stalakmiten und -titen (ist schon richtig geschrieben, keine Sorge), 25 Metern dicken Wänden aus Eis, die noch dazu höllisch steil sind. Dafür aber auch wunderschön.
Um zum Eingang der Höhle zu gelangen muss man schon einiges hinter sich bringen: eine gefühlte Alpenüberquerung bei 27 Grad zum Beispiel. Das ist aber nur der Weg vom Parkplatz (tja, noch ein bisschen früher aufstehen, hätte sich in diesem Fall gelohnt) zur Kasse der Seilbahn. Von der Kasse aus überquert man die Alpen erneut um schließlich zur Talstation eben jener Seilbahn zu kommen. Warum da nicht reihenweise Defibrillatoren ausliegen ist mir ein Rätsel: neben mir waren da noch mehr Anwärter für ein ein paar regenerierende Stromstöße. Ach so: ich vergaß: in der Eisriesenwelt ist die Temperatur ganzjährig um den Gefrierpunkt. Deshalb sagen sowohl die informative Website der Eisriesenwelt, alle anderen Websites zum Thema und so ziemlich jeder, der auch nur ansatzweise schon mal etwas von „Eisriesenwelt“ gehört hat (oder auch nur glaubt gehört zu haben): warm anziehen! Da drin ist es kalt!
Nun war Physik nie mein Lieblingsfach, aber der grundlegende Zusammenhang zwischen Eis und Temperatur ist selbst mir klar und da ich manchmal auch nicht beratungsrestistent bin, war ich in voller Ausrüstung unterwegs: also lange Hosen, schwere Schuhe, ein warmes Shirt und ein winterlicher Fleece-Pullover. Bei 27 Grad. Den ganzen Weg vom Parkplatz zur Kasse und von der Kasse zur Talstation der Seilbahn. Im Tal wunderte man sich über die erneute Schneeschmelze (und das ohne Schnee), aber das waren nur die Fluten meines Schweißes. Aber neben komplett verschwitzt war ich auch sehr sehr glücklich als ich bei der Seilbahn ankam, denn die Seilbahn verhieß das Ende dieser harten Bergtour… was leider nicht stimmte: nach der Ankunft oben geht es nämlich nochmal weitere beschwerliche 15 Minuten aufwärts bis zum Eingang.
Irgendwann war ich dann oben (und dem Himmel sehr nahe. Ich konnte mich entscheiden, ob ich direkt an Petrus Pforte klopfen – was mir in diesem Moment als nicht ganz unwillkommene Alternative erschien – oder halt doch mal durch die eisigen Hallen stapfen sollte. Ich entschied mich für letzteres). Die Eishöhle selbst war dann erfrischend kühl und die umstehenden Leute fanden es sehr lustig, wie ich in der kalten Luft vor mich hindampfte.
In der Höhle geht es dann knapp 75 Minuten lang über sehr viele Treppen – 700 nach oben, 700 wieder runter – und diverse Pfade aus Holzbrettern durch den vorderen Teil der Höhle. Auch das geht ganz schön in die Beine – wenn man nicht professioneller Treppengeher mit einem Mindesttagespensum von 700 Treppen hoch- und wieder runter hat – aber immerhin ist es angenehm kühl. Das Licht der Karbidlampen zaubert eine fast magische Atmosphäre und macht auch ein bisschen schläfrig – auch und gerade wegen dem beschwerlichen Aufstieg. Wären da nicht so viele Menschen, wäre die Versuchung groß, sich einfach mal kurz auf den nächstbesten Eisklumpen zu legen und eine Runde zu schlafen.
Um es nochmal zusammenzufassen: Man fährt also mit einem allradangetriebenem Auto einen Berg hoch, wird von netten Menschen auf einem Parkplatz eingewiesen, läuft ein paar Kilometer bis zu einer Seilbahn, die einem knapp 500 Höhenmeter an Aufstieg abnimmt. Dann läuft man erneut auf einem befestigten Weg zum Eingang einer Höhle, dessen letzten Meter aus Stufen bestehen, die in den Fels gehauen wurden. In der Höhle selbst ist man auf Treppenstufen aus bestem Holz oder Metall unterwegs. Die Wege sind stabil und gut befestigt. Man hat fast die ganze Zeit ein Geländer, an dem man sich festhalten kann. Es geht 700 Stufen nach oben, was nicht wenig ist, aber es gibt auch immer wieder Pausen, in denen der Führer Wissenswertes über die Höhle, deren Entdecker und Erforscher, sowie die eine oder andere Anekdote erzählt. Nach etwas über eine Stunde hat man so einiges erkundet und erfahren und verlässt die Höhle wieder auf dem gleichen Weg, wie man sie zuvor betreten hat: durch eine Tür.
Anton von Posselt-Czorich dürfte es im Jahre 1879 etwas beschwerlicher gehabt haben, als er das erste Mal die Höhle betrat. Vielleicht streikte sein Allrad-Auto, womöglich war die Seilbahn an diesem Tag nicht in Betrieb und eine Tür zur Höhle gab es damals sicher noch nicht (das weiß ich, weil ich dem Führer gut zugehört habe. 1879 war die Höhle komplett türlos). Die ganzen Treppen und Pfade waren noch nicht da, ergo musste Herr von Posselt-Czorich auf jungfräulichen Wegen in die Höhle. Er kam auch nicht sonderlich weit. Ca. 200 Meter vom Eingang entfernt sieht man noch heute die Markierung der Stelle, an der er umdrehte.
Die Zeiten waren damals also weitaus härter und ich habe den Hauch eines schlechten Gewissens, ob meines Jammerns. Andererseits gab es 1879 auch noch keine Thermo-Shirts, geschweige denn Fleece-Pullover und garantiert gab es noch keine Klugscheisser, die einen vor den Temperaturen in der Höhle warnten und auf die Wichtigkeit von warmen Klamotten – gerne auch ungefragt – hinwiesen. Insofern hatte Anton von Posselt-Czorich auch Vorteile im Vergleich zu mir. Nichtsdestotrotz: ganz übel war auch seine Leistung nicht. Ich denke, wir nehmen uns da nichts, der Anton und ich.