Früher gabs halt Fleisch. Wenn man Glück hatte, war es gut zu kauen, schmeckte einigermaßen und für die ganz zähen Stücke, wurde das Fleisch für sehr lange Zeit geschmort oder gekocht. Fleisch war eben Fleisch in verschiedenen Ausprägungen. Fertig. Ich kann mich nicht erinnern, meine Oma jemals über die Maserung eines Bratens oder gar der Maserung in Zusammenspiel mit dem Wuchs des Knochens bei einem Kotelett philosophieren gehört zu haben. Es gab keine wissenschaftlichen Abhandlungen über Haltung, Gattung und Rasse oder bevorzugte Fütterung des Tieres, das nun in verarbeiteter Form vor einem auf dem Teller lag. Das Einzige, was zum Thema Fleisch in die Runde geworfen wurde, war „Es wird gegessen, was auf den Teller kommt!“
Sehr viel später wurde Fleisch, inklusive Herkunft und allem drum und dran ein Thema. Plötzlich gab es zum Steak ein via QR-Code herunterzuladendes Video, das von der Zeugung (schon beeindruckend, wenn so ein Stier ganz ballermann-esque eine künstliche Kuh besteigt, weil er es entweder nicht mehr blickt, dass das Teil da vor ihm gar keine echte Kuh ist oder es ihm aufgrund der Überdosis Sexualhormone gerade total egal ist… und Glückwunsch an die Person, die in der künstlichen Kuh sitzen und die Arbeit tun, die sie tun. Ob das so ein typischer Arbeitsunfall ist: vom Penis eines Bullen ins Auge gestochen worden? Oder allergische Reaktion aufgrund von Spritzern, die ins Auge gerieten? Gleich nachher mal schauen, ob es da einen „Sendung mit der Maus“-Beitrag zu dem Thema gibt) über das Leben bis zur Schlachtung des Tieres geht, was man da gerade isst. Konnte man sich dann während dem Essen nebenher anschauen.
Und plötzlich war auch der Normalbürger Fachmann in Sachen Fleisch. Man bestellte nicht mehr einfach nur „Grillsteaks, dreimal Paprika, zweimal Knoblauch“ beim Metzger, nein: nun ging es ans Eingemachte (und ja: teilweise auch im wörtlichen Sinn). Die Farbe spielte eine Rolle, die Maserung, der Fettanteil, mit oder ohne Knochen, welches Stück von welcher Rasse usw. Und plötzlich gab es auch ganz exotische Besonderheiten und Spezialitäten: Kobe- oder Wagyu-Rind zum Beispiel. Davon hatte man doch vorher allerhöchstens hinter den schon rein finanziell verschlossenen Türen der höchsten Sterneküche gehört. Plötzlich war das jedem ein Begriff und 8 von 10 Menschen würden anhand diese Leckerbissen aufgrund ihrer Maserung von „normalem“ Rind unterscheiden können.
Und das führt mich – natürlich, weil das drängt sich ja logischerweise total auf – zu Vampiren. Ob das denen ähnlich ergeht? Sitzen in einigen Jahren ein paar Gourmet-Vampire zusammen und erinnern sich, wie das war – damals 2020 – als die ersten „Whitenecks“ auftauchten? „Im Herbst war das irgendwann, oder?“, fragt der eine und Vladminir, der Grandseigneur der illustren Runde nickt lächelnd. Ja, da war das. Eine völlig unerwartete, aber dafür umso gewaltigere Wendung der Geschichte, brachte immer mehr Menschen dazu, nur noch mit Schals nach draußen zu gehen, die sie sich beim Zusammentreffen mit anderen über Mund und Nase schoben. Dieses dauerhafte Tragen eines Schals führte zum namensgebenden weißen Hals, dem „white neck“ (die Vampire in den spanisch-sprechenden Gebieten nennen sie „Coroniestas“), was neben der spannenden Maserung rund um Oberkörper und Kopf bei den Opfern auch einen interessanten Effekt beim Geschmack des Blutes bewirkte: durch die unterschiedliche Sonneneinstrahlung und des damit einhergehenden lokal-differenten Einwirken von Vitamin D, kommt es zu bis dahin völlig unbekannten Geschmacksnuancen, die zu großer Verzückung in der Gourmet-Szene der Vampire führte.
Zu Anfang noch den Sterne-Vampiren und deren Gästen vorbehalten, sind Whitenecks mittlerweile auch im Alltag vieler weniger gutsituierten Vampiren angekommen und dort eine gern genommene Alternative zu den weiterhin verfügbaren Normalos. Und natürlich gibt es auch hier Kritiker, die über den für ungeübte Vampir-Zähne etwas härteren Biss zur Hauptvene meckern, aber wer kennt nicht den Satz, den schon so ziemlich jede Vampir-Oma losgelassen hat: „Es wird das getrunken, was auf den Tisch kommt!“