Schon seit ein paar Wochen, aber nun mehr und mehr stolpert man in unserer Region über neuen Wein. Mittlerweile bekommt man ihn an jeder Ecke: auf den Straßen stehen Schilder, die alle hundert Meter darauf hinweisen, dass es in Pfeilrichtung neuen Wein gäbe. Und Kürbisse. Seit der Überdosis Halloween und dem Siegeszug des Hokkaido kommt man an Kürbissen ja nicht mehr vorbei. Früher hat sich der eine oder andere Hobbyschnitzer so ein Teil gekauft, um grobmotorisch Augen, Nase und Mund hineinzusäbeln und dann mit dem selbstgebastelten ach-so-gespenstischen Kerzenhalter die Straßeneinfahrt zu illuminieren. Heute werden Kürbisse nicht nur aus künstlerischen Zwecken mit dem Messer bearbeitet, nein, man kocht sie auch in allen möglichen und manchmal auch unmöglichen Variationen: als Suppe, als Kuchen, als herzhafte Beilage, als süße Beilage, als Fleischersatz, als perfekter Begleiter zu Fleisch, als Smoothie, als Pudding, als dies und das und falls man das Gewächs nicht essen kann, muss es als eben „Zier“-Kürbis herhalten. Nur im Zusammenhang mit neuem Wein war von Kürbis noch nie die Rede, obwohl beide zusammen verkauft werden. Gibt ja so unheilige Verbindungen, wo beide Parteien eigentlich nichts gemein haben, aber trotzdem zusammen ihr Dasein fristen. Viele Ehen basieren auf diesem Prinzip. Vielleicht ist das bei neuem Wein und Kürbissen ähnlich. Eventuell wollten sie schon lange getrennte Wege gehen, sind aber noch wegen den kleinen Zierkürbissen, den Sensibelchen, zusammen.
Neuer Wein ist eigentlich noch kein richtiger Wein, sondern Traubenmost, bei dem die alkoholische Gärung so langsam einsetzt (kennt man auch bei vielen Ehen). In Österreich nennt man neuen Wein auch „Sturm“, was ich passender finde, denn – so schreibt Wikipedia: Neuer Wein übt einen starken Effekt auf die Funktion des Darms aus, insbesondere auf dessen Peristaltik – und wo Wikipedia Recht hat, hat es recht. Ich erinnere mich dunkel an einen Ausflug zu einer neuen Wein-Verkostung in der Pfalz. Bis zur Heimfahrt war alles gut, aber anscheinend wirkt das Geruckel in einem Reisebus zusätzlich verstärkend auf die Peristaltik… das war jedenfalls einer der grausamsten Wege von der Bushaltestelle nach Hause, den ich je hatte. Man glaubt gar nicht, zu welchen Anstrengungen der menschliche Körper fähig ist, wenn er etwas machen will („Let’s go, Peristaltik!“), das man selbst eigentlich gar nicht möchte („Oh nein. Oh nein. Es ist nicht mehr weit. Schneller gehen. Aaaaah, nein, nicht schneller gehen, lieber kleine Schritte. Viele kleine Schritte. Viele schnelle kleine Schritte. Ohhh. Ohhhhhh“). Das waren grauenhafte Krämpfe und ich bin froh, dass mich niemand auf meinem Heimweg beobachtete – das sah sicher aus wie der Tanz eines sehr unbegabten Breakdances – aber ich habe es geschafft und was dann geschah spricht klipp und klar für das österreiche „Sturm“ im Vergleich zum eher harmlos klingenden „Neuen Wein“ … ich will das aber gar nicht näher ausführen.
Dass die Menschheit an ihrer Dummheit zugrunde gehen wird, zeigt sich übrigens auch beim neuen Wein: zum einen weiß man über die peristaltikfördernde Wirkung dieses Gebräus, aber trotzdem probiert man jedes Jahr aufs Neue davon. Das alleine ist ja schon dämlich genug, aber um auf Nummer Sicher zu gehen, kredenzt man zum neuen Wein auch noch einen Kuchen, prall belegt mit in Öl gedünsteten Zwiebeln, auf das die Keramik auch wirklich einem brutalen Härtetest unterzogen wird. Warum tut man das? Gibt es da geheime Deals zwischen Villeroy & Boch und den Winzern und hat die Zwiebelmafia auch ihre schmutzigen Hände im Spiel? Ist das so eine perfide „Fifty Shades of…“… naja, „Grey“ ist da nix… ach, egal. Man weiß es nicht und will es auch gar nicht wissen. Sicher ist allerdings, dass man es wieder vergisst, denn im nächsten Jahr heißt es wieder: „Oh, neuer Wein! Lecker!“ „Zwiebelkuchen dazu?“ „Aber gerne doch“ – und das Unheil nimmt seinen Lauf. Und nebenan, auf einem dekorativen Holztisch drapiert, steht ein Kürbis und lacht hämisch. Bestimmt der Ex vom neuen Wein.